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1.2 Unterschied zwischen Natur und Bild

Es gibt unter den sog. Modernen genug, die trotz der Modernheit ihre Gegenstände völlig illusionserweckend darstellen. Jean Francois Millet, Courbet, Böcklin, Wilhelm Leibl, Lovis Corinth, Max Liebermann, Wilhelm Trübner, Max Klinger oder Hans Thoma und die sämtlichen englischen Präraffaeliten, die eins bis zum letzten zu den Modernen zu rechnen sind, zeichnen sich mehr oder weniger in der Detaillierung dessen aus, was sie zu sagen haben. Freilich ist der allgemeine Zug der Vernachlässigung der Einzelheiten bei der überwiegenden Mehrheit der modernen Maler heimisch; und es ist nicht schwer zu erraten, dass jene Verurteilung einiger Künstler der Detaillierung wegen dessen, was sie darstellen wollen, im Interesse der letzteren betont wird.

Man muss doch anerkennen, dass die Bezeichnung von „Naturkopien“ einem Laien sehr plausibel zu sein scheint. Man schaut einen Gegenstand an, sei er eine Landschaft, ein Stadtbild oder ein Modell, und nachher schaut auf dem Bilde, wo man denselben Gegenstand mit allen seinen Einzelheiten in derselben Beleuchtung wiedererkennen kann: was sollte das eigentlich anders als Kopie dessen sein, das vor den Augen des Künstlers da stand? Die Sache scheint handgreiflich plausibel zu sein; und da man schon gewöhnt ist eine Kopie für minderwertiger als das Original zu halten, wird man den Titel „Naturkopie“ mit allen seinen Konsequenzen annehmen.

Und doch!

Bei der näheren Untersuchung der Frage müssen wir uns auf den Standpunkt stellen, dass jene, die über die detaillierenden Künstler die Anklage des Kopierens ausgesagt haben, hatten weder zu sehen noch zu denken gelernt.

Denn da wir den Gegenstand eines Bildes in der Natur gründlich und sorgfältig anschauen und ihn mit dem nach ihm gemalten Bilde von Detail zu Detail am genauesten vergleichen, werden wir sofort feststellen, dass die beiden einander überhaupt nicht gleichen; und zwar auch im Falle nicht, wenn die Sache sich ums beste Werk eines begabten Künstlers handelt. Zuerst müssen wir bemerken, dass die Natur in Einzelheiten viel mehr produziert als der Künstler auch im Falle, da er – wie ein Dürer oder Leibl – die winzigsten Kleinigkeiten bemerkt und darstellen will, ist doch noch immer ein ziemlich umfangreiches Überbleibsel vorhanden, das vom Künstler entweder nicht bemerkt oder wenn ja, vernachlässigt und nicht dargestellt wurde.

Diese Feststellung ist auch im Falle gültig, wenn die vom Künstler – wie man zu sagen pflegt – „abgemalten“ Gegenstände ihre Stellung und ihr Substrat für eine längere Zeit nicht verändern, wie z.B. aus Metall, Stein und Porzellan hergestellte Objekte, oder andere nicht schnell verwesenden Stillebengegenstände, wie Äpfel, Zitronen usw. Diese tragen an sich Einzelheiten in einer Menge, die von dem bis ins Allerkleinste gehenden Künstler nicht beobachtet werden können.

Den Unterschied zwischen Natur und Bild werden wir am entschiedensten feststellen können, wenn wir die zum Thema eines Bildes dienenden Gegenstände in derselben Gruppierung, als sie gemalt wurden, auf rein technische Weise darstellen., d.h. fotografieren. Da wird der schreiende Unterschied am prägnantesten feststellbar: das gute Foto stellt die Sachen dar, wie sie sind, also rein objektive; das Bild des Künstlers so, wie er sie gesehen, verstanden und aufgefasst hat, also rein subjektive. Freilich reden wir nicht davon, da der sog. Künstler sein Bild „nach“ dem Foto gemalt also wörtlich genommen „kopiert“ hatte.

Wenn doch von Dingen die Rede ist, die sich nicht so still, wie tote Stillebengegenstände halten, sondern ihre Stellung von Minute zu Minute verändern, wie menschliche oder Tiergestalten, die sich nie zweimal gleich zeigen, ja wenn verändert, sich nie mehr in derselben Weise einstellen lassen: dann kann man von einer Identität zwischen Natur und Darstellung durchaus nicht reden. Wenn jemand also sich die Mühe nimmt den Dingen ins Auge zu schauen und wenn man vor einem Werke steht, das einem die Illusion des Naturerlebnisses vollkommen darbietet, und wenn man sich in der Lage befindet, Bild und dessen Thema auf einmal beobachten zu können: kann man nie mehr von einer Kopie sprechen, ja muss evtl. feststellen, dass man nicht weiss, wie das Werk vollgebracht wurde.

Wenn man einen Künstler, da er die Gegenstände mit ziemlich vielen Einzelheiten darstellt – wie man sagt – das Bild ausarbeitet, dafür als einen Naturkopisten verspottet, dadurch beweist man nur, dass man weder die Natur, noch das Bild gründlich angeschaut, evtl. fürs künstlerische Sehen überhaupt gar keinen Sinn hat.

Was soll aber zu solch´ einem Spottname die Natur selbst sagen? Lässt sich die Natur überhaupt nachahmen?

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